a-Rückblick-Eine-ganz-persönliche-Erinnerung-by-Uwe-Schrade

– Rückblick – Auf eine ganz persönliche Erinnerung –

In Memory Of Leonard Cohen

Text & Fotos von Uwe Schrade

Klar – damals wollte ich das glauben… Leonard Cohen IST unsterblich. Obwohl in den Foren immer mal wieder Kommentare und Fragen bezüglich seines Gesundheitszustandes auftauchten. Auch ich wurde konkret gefragt, ob ich etwas wüsste denn die letzten Fotos zeigten einen noch dünneren und schwächer wirkenden Lenny. Aber keiner wusste etwas Konkretes. Das einzige was ich in Erfahrung bringen konnte war das er wohl sehr starke Rückenschmerzen haben musste. Die Fragen nach seiner Gesundheit kamen auf bevor die Medienkonferenz zur neuen CD abgehalten wurde. Irgendwoher kam auch die Meldung, dass Leonard Cohen bereit für den Tod sei; das war kurz nach dem Tod im Juli von Marianne Ihlen. Auch ich erschrak als ich seine letzten Worte an Marianne lesen konnte. Aber dann fand die PK für sein neuestes und wie wir alle jetzt wissen letztes Album statt. Das entsprechende Filmmaterial machte mich einerseits froh, denn er stellte klar, dass er wohl etwas übertrieben habe mit seiner Bemerkung, dass er bereits jetzt zum Sterben bereit sei. „I intend to live forever“…Natürlich wollte ich es glauben, aber: die Clips dieser Album-Vorstellung machten mich nachdenklich, ich weiss noch ganz genau als ich bemerkte, wie kurz das seine Atmung war, wie trocken sein Mund. Es war offensichtlich, dass er starke Schmerzen haben musste. Starke Schmerzen, ein trockener Mund, der Stock, seine Erklärung – und dann der Album-Text von seinem Sohn Adam… das sprach Bände und ich war mir absolut sicher, dass da etwas nicht stimmen konnte. Klar, wenn man dann noch die Texte der Lieder seines letzten Albums analysiert, dann liegt alles offen, alles wird klarer. Aber: hatte Leonard nicht immer schon vom Tod, von der Vergänglichkeit und von der Endlichkeit gesungen? Er war ja der Meister der „dunklen“ Texte. Jahrelang wurde ihm nachgesagt, dass seine Lieder nur für depressive Menschen verständlich und nachvollziehbar seien. Aber dieses Mal war alles ganz anders. Dass es allerdings so unheimlich schnell gehen würde, das wusste natürlich keiner. Trotzdem holte ich mir einige Konzertberichte hervor. Einige habe ich für mich selber geschrieben, einfach so, aus sentimentaler Lust, einige auf Anfrage.

Im Nachhinein denke ich, daß er selbst ganz genau wusste, das ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Er schmiedete zwar weitere Pläne mit Patrick Leonard, sie wollten ein weiteres Album einspielen, die Musik sollte ohne Text sein, ein Orchester sollte spielen und zwischen den Songs wollte er einige Zeilen sprechen, neue Gedichte schreiben usw.

Und so erfuhren wir dann alle am 11.11.2016, dass Leonard Cohen in der Nacht vom 7.11. nach einem Sturz in seinem Haus in L.A. friedlich eingeschlafen ist. Als die Nachricht um die Welt ging war Leonard bereits im Familiengrab beigesetzt worden, alles sehr diskret, ohne Presse, genauso wie er das gewollt hat. Die ersten Meldungen erreichten Europa morgens um 4 Uhr. Susanne weckte mich und sagte: „Lenny ist gestorben“. Im Radio, egal welchen Sender man hörte, wurden seine bekanntesten Songs gespielt. Dann kamen die ersten Filmaufnahmen die Menschen vor seinem Haus in Montreal zeigten…

Ich weinte wie ein kleines Kind. 82 Jahre – klar, ein schönes Alter. Aber: warum gerade jetzt, warum muss er jetzt gehen, wo Stimmen wie seine immer wichtiger werden. Warum?

Ich musste zur Arbeit. Viele meiner Kollegen und Freund, die wissen, was Leonard Cohen mir bedeutet, sagten, daß es ihnen leid tut. Seltsam, nicht? Und noch seltsamer war: ich war dankbar dafür, es bedeutet mir echt viel. Ich war ja nur eine Art „Fan“. Ich trieb mich in halb Europa herum damit ich ein weiteres Konzert sehen konnte. Nie lernte ich ihn persönlich kennen, ich kam in Kontakt mit anderen „Cohenites“, mit anderen, die dieselbe Leidenschaft teilten. Ich konnte mich dank der modernen Kommunikationsmittel mit einigen seiner UHTC-Mitglieder austauschen, erhielt vom Management total überraschend ein Paket mit einem signierten „Book of Longings“, zwei signierten und „For Susanne“ bzw. „For Uwe“ unterschrieben Fotos (das war im zweiten Jahr der „grossen Tour“, da war der „Hype“ noch nicht so ausgeprägt wie in den Jahren 2013 und 2013. Und jedes einzelne Konzert war einfach grandios, keines war wie das andere. Ich lernte Menschen kennen, die tatsächlich nach Amerika und nach Australien flogen um ihn dort live zu sehen – im Nachhinein bereue ich es sehr, dass ich mich nicht getraute, nach Kanada zu fliegen und ihn vor seinem „Heim-Publikum“ zu sehen. Je mehr Konzerte ich sah umso mehr wollte ich ihn wiedersehen. Zum Glück konnten wir die Tickets vor Beginn des off. Vorverkaufs erwerben, so war sichergestellt, dass wir unsere Plätze immer in den ersten Reihen hatten. Die Tour 2012 war auch speziell, denn da wurden im Spätsommer „Open-Air-Locations“ gebucht. Ich weiss noch, als wir erfuhren, dass er 2008 wieder auf Tour gehen würde. Als ich dann sah, welche Konzerthallen da genannt wurden war ich skeptisch. Leonard Cohen in Hallen die 15 – 20‘000 Menschen fassten. Würde das funktionieren? Er, der früher sein Publikum aufforderte, näher zu kommen… und jetzt auf diese ganz grossen Bühnen? Mit einer Band die angenehm leise spielte, mit einer Lightshow, die eindeutig mit „weniger ist mehr“ umschrieben werden konnte… und das in offenen Stadien? Aber: es klappte. Und wie! Es war einfach unglaublich…

Dann erinnerte ich mich an das allerletzte Konzert in Amsterdam… zuvor hatte ich schon 24 Konzerte besucht, Amsterdam war das letzte Europakonzert der World-Tour 2013… ich kramte meine Aufzeichnungen hervor…     

Als ich am 20. September 2013 in Basel-Mühlhausen früh Morgens endlich auf meinen Platz in der KLM-Maschine nach Amsterdam sass war ich sehr aufgeregt, nervös, die Vorfreude war riesig. Ich wusste dass Leonard Cohen auch an diesem Abend alle Erwartungen erfüllen oder gar übertreffen würde. Aber sicherlich war ich aufgeregter als bei allen vorangegangenen Leonard-Cohen-Konzerten, denn es war das letzte Konzert auf europäischem Boden. Danach folgten noch bis Ende Dezember einige Konzerte in Australien und Neuseeland bevor dann endgültig der „letzte Vorhang“ für die unglaubliche Tour, die 2008 ihren Anfang nahm, endete. Aber an diesem Tag hatten wir alle nochmals eine Möglichkeit, dieses letzte Europakonzert miterleben zu dürfen. Aber gleichzeitig kamen auch die Fragen auf: wird das das letzte Mal sein dass ich Leonard Cohen live erleben durfte? Geht die Tour nach einer Veröffentlichung eines weiteren Studioalbums weiter? Oder lässt er es gut sein und geniesst sein zurückgezogenes Leben und erholt sich von den Strapazen dieser insgesamt 470 Konzerte? Immerhin, am Tag nach Amsterdam feierte Leonard Cohen seinen 79. Geburtstag. Ich war immer wieder hin und hegerissen: was wird er danach wirklich machen? Trotz der ganzen Vorfreude befürchtete ich, dass es zumindest ein längerer Unterbruch geben würde bis zu einem neuerlichen Konzert. Eigentlich rechnete ich schon mit einer Fortsetzung der Tour, irgendwann, irgendwo, denn es schien im viel zu viel Spass zu machen: je länger die Tour andauerte umso gelöster wirkte Cohen auf der Bühne. Zu Beginn der Tour war doch ein gewisser Erfolgsdruck zu spüren, denn er musste schlicht wieder Geld verdienen. Dieses wurde von seiner Managerin während seines Klosteraufenthaltes nach der letzten Tour Mitte der 90-er Jahre veruntreut. Er veröffentlichte nach dem Klosteraufenthalt noch zwei Studioalben, „10 New Songs“ und „Dear Heather“, aber mit neuen Alben kann man heutzutage als Musiker nicht mehr überleben. Es blieb ein Ausweg: zurück auf die Bühne. Und dieses Mal waren es die ganz grossen Hallen. Zuerst war ich skeptisch: Leonard Cohen in diesen Hallen? Aber die Zweifel waren sehr schnell verflogen, die Kritiken überschlugen sich förmlich. In den letzten Jahren war Leonard Cohen für mich persönlich wichtiger gewordenen; nicht nur seine Musik, nein: seine Weisheit, seine Selbstironie, sein Verständnis von Liebe, Toleranz, seinen Aufruf zur Menschlichkeit, seine generelle Einstellung zum Leben, zur Welt wurde für mich immer wichtiger denn er hatte etwas zu erzählen, er verstand es, die ganz grossen Gefühle sehr präzise und in kurzen Sätzen singend zu erklären. Er war schon immer „anders“, kein typischer „Star“, dafür ein unglaublich präziser Wort-Künstler. Er schaffte es mit eher wenigen Worten und einem sehr zurückgenommen musikalischen Arrangement punktgenau den „Finger in die Wunde“ zu legen; niemals aber urteilte Leonard Cohen. Und so schwang, bei aller Vorfreude, auch eine ganz bestimmte Art von Traurigkeit, von Melancholie und Abschied mit, denn mir war bewusst: nach diesem Konzert heute um 20 Uhr im Zigo-Dome konnte ich nicht wie bis anhin zu Hause schon das nächste Ticket aus der Schublade ziehen und mich auf ein weiteres Konzert freuen. Heute Abend würde ich nun definitiv das letzte Cohen-Konzert auf europäischem Boden im Jahr 2013 sehen. Aber ich hatte auch Angst, dass es für mich tatsächlich das allerletzte Leonard-Cohen-Konzert sein könnte; aber ich wollte diese Gedanken einfach beiseiteschieben, ansonsten hätte ich das Konzert überhaupt nicht geniessen können. Schon damals bereute ich es zutiefst, dass ich nicht doch nach Kanada und in die USA geflogen bin um ihn auch da live sehen zu können.

Es ist sehr schwer für mich zu beschreiben, was Leonard Cohen für mich bedeutet. Ich meine, jeder einzelne Fan hat eine eigene Geschichte, verbindet eigene Erlebnisse und Erinnerungen mit Leonard Cohen. Und mit dem Wissen von heute bekommen diese individuellen Geschichten für die einzelnen noch mehr Gewicht. Aber an diesem 20. September 2013 wussten wir nur, dass wir am vorläufigen Ende der World Tour in Europa angekommen sind. Und alle, die wir uns wie schon so oft an anderer Städte im selben Publikum gesehen haben, wir alle wollten trotz oder aber auch gerade wegen dieses Wissens noch ein letztes Mal Teil dieses einzigartigen Erlebnisses sein. Für uns alle war ein Cohen-Konzert nicht einfach mit einem „normalen“ Konzertbesuch zu vergleichen… klar besuchen alle von uns auch andere Konzerte, klar können wir uns auch für andere Künstler begeistern. Aber nichts ist bzw. war vergleichbar mit einem Leonard-Cohen-Konzert: die ganz besondere, ja schon fast andächtige Stimmung ist schon beinahe körperlich spürbar, der Künstler einzigartig – bescheiden, ironisch, aufrichtig, ein Wort-Akrobat und einer mit einem ganz ausgeprägten Sinn für das Publikum, einer, der wirklich jeden in seinen Bann zu ziehen vermag – wenn man es denn zulässt. Leonard Cohen war nie ein Künstler der lauten Töne, kein Freund einer üppigen Bühnenshow. Seine Konzerte waren ganz im Gegenteil aussergewöhnlich leise, dafür rekordverdächtig lange. Ich habe kein einziges Konzert in Erinnerung dass nicht mindestens 3 ½ Stunden dauerte, Die Zeit verging jedes Mal wie im Flug, jedes Konzert war einzigartig. Leonard Cohen wirkte bei keinem einzigen diese Konzerte auch nur annähernd genervt oder unzufrieden, Wir waren immer wieder erstaunt, mit welcher Kraft und Energie er immer und immer wieder über die Bühne tänzelte, wie er sich locker hinkniete, mühelos wieder aufstand – und das über 3 ½ Stunden lang, unglaublich. Das alles machte unter anderem die Faszination aus, hinzu kam am 20.09.2013 eben das Ende der Tour. Aber dieses Wissen um das Tourende, ja dass er eventuell niemals mehr auf einer Bühne stehen würde nach 2013, das lag, jedenfalls für mich, deutlich in der Luft. Bei jedem Konzert wünschte ich mir dass ich die Zeit anhalten oder zumindest den Gang der Zeit verlangsamen könnte. So sehr ich mich auf ein weiteres Konzert von ihm freute, so traurig war ich, denn eine weitere Tour war zwar möglich aber eigentlich nicht denkbar… und trotzdem hofften wir eben doch, dass es weitergehen könnte, er selber sagte ja mehrmals, dass er noch nicht bereit sei, seine „Boxhandschuhe auszuziehen, aber er wisse wo der Haken sei“…

Selbstverständlich wünschten wir uns zuallererst, dass Leonard Cohen gesund bleiben würde, dass er sich von den Strapazen der letzten Jahre erholen und neue Kraft schöpfen könne. Bei all diesen Gedanken blieb am Ende aber doch die Hoffnung, dass Leonard Cohen doch noch einmal zurückkommen wird, auch wenn die Logik, die rationale Überlegung einen anderen Schluss nahelegte. Auch ich hoffte wie so viele andere auch, dass die Tour dann nach der Veröffentlichung des nächsten Studioalbums eventuell doch in irgendeiner Form fortgesetzt wird, eventuell eine kleinere Tour, allenfalls nur „punktuelle Auftritte“, eventuell nur ein Konzert pro Kontinent oder alternativ zu all diesen Möglichkeiten eine Fortsetzung der Tour, allerdings in deutlich kleineren Hallen. Also: wir rechneten mit allem, hofften auf das Beste.

Aber letztlich war er ja Leonard Cohen, genau jener Mann, der ja schon so oft das exakte Gegenteil dessen machte, was von ihm erwartet wurde. Hinzu kam einfach auch eine Art des „Nicht wahrhaben wollen“, eine Art des Trotzes, eine Art von Selbst-Tröstung und Hoffnung… Alles in Allem: nichts war undenkbar, alles könnte sich innert kürzester Zeit wieder ändern… Schliesslich  war er Leonard Cohen, der schon ganz andere Sachen überlebt hat. Wie so viele andere auch so wollte auch ich es einfach glauben, dass das eben nicht doch das letzte Konzert ist. Ich wollte mich nicht damit beschäftigen, dass ich am Abend des 20.09.2013 nun das allerletzte Mal im Publikum sitze. Also verdrängte ich diese Gedanken, ich wollte diesen Abend ganz bewusst erleben… noch einmal, nur noch einmal… und dann… diese Frage wollte ich mir an diesem Abend nicht stellen, die Wahrscheinlichkeit eines „Wiedersehens“ war klein, selbstverständlich – aber wissen und wahrhaben wollen sind zwei ganz verschiedene Dinge… also: weg mit diesen Gedanken… Denn wir alle konnten in den letzten beiden Jahren feststellen, dass Leonard Cohen selber offensichtlich doch Spass am Auftreten gefunden hat; ganz im Gegensatz als früher und zu Beginn der neuen Tour. Wir konnten deutlich eine Art von „Gelöstheit“ auf der Bühne bemerken; früher undenkbar. Aber: soll er sich das später, mit dann bereits 80 Jahren, wirklich antun? Andererseits: solange er gesund ist und er wirklich Spass am Auftreten hat: warum nicht? Die Anspannung, die bestimmt auch beim allerletzten Konzert präsent war, war auch bei diesem Konzert bestimmt gross. Die Unterschiede vom Beginn der Tour 2008 bis 2013 waren deutlich sichtbar. Leonard Cohen konnte während seiner ganzen Karriere seine natürliche Scheu nie ganz ablegen, das war auch ein Teil des späten Erfolges auf der Bühne. Und doch fühlte er sich ganz offensichtlich nicht mehr so „fehl am Platze“ wie 2008. Denn eigentlich hätte die Tour nach 2010 nicht unbedingt fortgesetzt werden müssen, finanziell war Leonard Cohen Ende 2010 wieder auf „der sicheren Seite“. Aber auch diesbezüglich gibt es verschiedene Aussagen. Es gibt die Version, dass die Tour von Beginn weg so geplant war, so dass sie eben letztlich über 6 Jahre (mit einem Jahr Pause für die Aufnahme von „Old Ideas“) andauern sollte; dann wird kolportiert, dass die Tour Ende 2010 eigentlich beendet werden sollte Dagegen spricht die Aussage einiger seiner Musiker, die vom Management Cohen’s gebeten wurden, keine Pläne für die Jahre 2013/2013 zu machen…

Fakt war, dass sich seine Auftritte im Vergleich zu „The Future“-Tour 1993 signifikant verändert haben. Die Konzerte wurden bewusst leiser, die Arrangements zurückgenommen, genauso wie die „harten Rhythmen“; auf „Show-Effekte“ verzichtete er schon immer, die „Licht-Show“ ist im Vergleich zu anderen sehr schlicht, keine hochtechnisierten Visual-Effekte, ganz im Gegenteil: alles wirkte zurückgenommen, betont einfach. Keine Halbplaybacks, keinen in Stein gemeisselten Ablauf… Sein Geheimnis lag wohl darin, dass er davon profitierte, lange eben nicht aufgetreten zu sein. So war sichergestellt, dass die Tickets nach der Vorankündigung der Tour im Vorverkauf schon reissenden Absatz fanden. Es machte ihm ganz offensichtlich grosse Freude zu sehen, dass tatsächlich der Zuspruch der Besucher nicht abriss – im Gegenteil! Durch und durch Profi hatte er immer den Anspruch, seinem Publikum einen perfekten, wunderbaren Abend zu schenken. Die Tour-Routinen können einen Künstler blockieren, nichts ist schlimmer, als Abend für Abend dasselbe zu tun und dabei die Magie des Moments zu verlieren. Das aber passierte glücklicherweise nie. Wir alle, die wir ihn doch mehrere Male sehen durften, hatten zwischenzeitlich immer mal wieder die Sorge, dass das ja nicht ständig so weitergehen konnte, auch wenn wir uns das selbstverständlich gewünscht hätten. Aber: keiner wird jünger und gerade dieses Geschäft ist enorm kräftezehrend – immerhin: bei Beginn der Tour 2008 war er bereits 74 Jahre alt. Cohen aber wurde mit den Jahren, die die Tour andauerte, besser und besser. Dafür habe ich zwei Erklärungen: die Freude des „Live“-Auftretens kam zurück weil er merkte, dass er auch während dieser kräfteraubender Zeit viel Kreativität fand: er schrieb mehr und mehr an neuen Songs, probierte diese auch während der Soundchecks aus und fügte Sie seinem Bühnenprogramm hinzu. Zudem, und das war wohl die Grundvoraussetzung dieser neuen Kreativität und der Lust, den Menschen vor Ort wieder „Live“ begegnen zu können: der „Druck des Erfolges“ nach Beginn der Tour 2008 war verschwunden. Die Tour entwickelte sich zu einem eindrücklichen Comeback, die Konzerte waren sehr gut besucht, immerhin fanden in diesen 5 Jahren insgesamt 470 Konzerte in 31 verschiedenen Ländern vor total 4‘700‘000 Zuschauern statt.

Nur zur Erinnerung: wir hätten Leonard Cohen wohl kaum noch mal auf den Bühnen dieser Welt gesehen wenn seine damalige Managerin sein „Erspartes“ während seiner Zeit als Mönch nach „The Future“- Tour 1993 nicht veruntreut hätte. Das Gerichtsverfahren gewann er selbstverständlich, aber: das Geld war definitiv weg. Seine in der Zwischenzeit veröffentlichten Studioalben 2002 „Ten New Songs“ und 2005 „Dear Heather“ erhielten wohl – vor allem in Europa, wie eigentlich immer – überdurchschnittlich gute Kritiken. Aber seit der Digitalen Revolution haben wir gelernt, dass Künstler vom Verkauf einer neuen CD ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten können; das gleiche gilt für ein neues Buch. Was also bleibt einem Singer / Songwriter, um einen einigermassen unaufgeregten, ruhigen Lebensabend geniessen zu können? Letztlich nur die Möglichkeit: zurück auf die Bühne, grosse Stadien füllen – etwas, was ihn selber wohl eher eingeschüchtert haben musste. Gerade er, der damals, bei seinen ersten Auftritten, regelrecht auf die Bühne gezerrt werden musste; er, der oftmals nicht verstand, warum die Leute ihn überhaupt sehen und hören wollten; er, der bis zuletzt damit kokettierte, dass er wohl der einzige Sänger sei, der keinen einzigen Ton treffen, geschweigen denn halten könnte. Er, gerade er…

Nun, wir alle werden älter. Auch ich stellte mir die Frage: „Wie lange findet Leonard Cohen wirklich Spass daran, sich mit bald 80 Jahren diesem Stress auszusetzen und faktisch jeden zweiten Abend irgendwo auf einer großen Bühne zu stehen, danach den Koffer zu packen und sich, zusammen mit seinen Musikern, wieder ins Flugzeug zu setzen, um die nächste Location anzusteuern, wieder im Hotel einzuchecken, am folgenden Nachmittag einen ausgiebigen Soundcheck zu machen und dann am Abend eben diese intensiven, lange Konzerte zu geben und dabei nie den Anspruch zu verlieren, stets nur das Beste zu geben, dem Publikum das Gefühl zu geben, dass der heutige Abend eben nicht das 465. Konzert ist, sondern die „Premiere“… Nun, das ist ihm gelungen, eindrücklich, nachhaltig, unvergleichlich, souverän und wundervoll.   

Und genau deswegen wollte ich dieses letzte Konzert besonders bewusst erleben. Ich wollte jeden einzelnen Moment festhalten, wollte ihn mir einprägen, speichern, nie mehr loslassen. Ich wollte diesen Abend sozusagen „einfrieren“, damit ich diese Momente jederzeit abrufen und noch einmal erleben konnte.

Doch zuvor wollten wir uns treffen, wie so oft vor den Konzerten. Wir waren mal wieder unter uns, lachten, schwärmten von den vorangegangenen Abenden, irgendwo in Europa…. Und doch: immer wieder drang in irgendeiner Form durch, dass es eben das letzte Konzert war auf europäischem Boden. Klar sagten wir, dass wir sicher seien, dass die Tour irgendwie, irgendwann und irgendwo fortgesetzt werden wird. Gleichzeitig befürchteten wir aber wohl alle dasselbe: ist es das letzte Mal, dass ich Leonard Cohen live sehen darf? Wird er wiederkommen? Wie sagte er mehrere Male in den letzten Monaten: „I don’t know if we will meet again, friends, noone knows, But I’m not ready to hang up my boxing-gloves, but I know where the hook is.“ Und am Ende: „Friends, it was a memorable night, May you are surrounded by your family and friends but if this is not your luck: may this blessings find you in your solitude – see you down the road, friends.“ Nein, es muss weitergehen…

Nun, heute wissen wir es besser. Heute wissen wir, dass der Abend vom 20. Auf den 21. September 2013 in Amsterdam eben doch das letzte Konzert in Europa gewesen ist. All das, was wir heute wissen, was wir zu akzeptieren haben, war damals noch weit, weit weg. Die Vorfreude war so gross. Zuerst hatte ich noch abgemacht, dass ich Kevin sehen werde. Wir würden dann zusammen zum Zigo-Dome gehen. Er musste ja arbeiten, Programme verkaufen. In all den Jahren der Konzerte lernten wir und kennen. Kevin ist heute ein Freund geworden. Ein aussergewöhnlicher Mensch, der seine persönliche Freiheit braucht, der das Leben „On the Road“ schätzt. Wir trafen uns an der Hotel-Bar. Dieses eine Mal bat ich ihn, seine Position für mich etwas auszunutzen. Durch diverse Mails usw. wusste ich von Hattie und Charley Webb, dass sie Schokolade ganz besonders mögen. Bis zum 20.09.2013 konnte ich entweder direkt über die Bühne oder einmal via Ed Sanders kleinere Präsente für die ganze Band abgeben bzw. übergeben lassen (einmal mit einer sehr erstaunlichen, absolut unerwarteten Reaktion). Dieses Mal nahm Kevin die sorgfältig verpackten, unterschiedlichen Schoko-Tafeln direkt an sich und übergab sie den beiden Webb-Schwestern mit der Bitte, den „Jungs“ doch auch etwas abzugeben (einen Tag später posteten sie ein Foto. Da wusste ich, dass die Schokolade auch tatsächlich angekommen ist). Als Kevin und ich uns so langsam auf den Weg machten (zu Fuss, denn ein Taxi war weit und breit nicht zusehen, zudem sagte mir Kevin, dass er wisse, dass wir zu Fuss in maximal 10 bis 15 Minuten den Zigo-Dome erreicht haben würden. Es war ein nass-kalter Tag, auf der Ausfallstrasse hin vom Hotel zum Zigo-Dome weit und breit kein Mensch zu sehen… um 16 Uhr sollte Kevin zu einer ersten Vor-Besprechung im Stadion sein. Nach einem längeren Fussmarsch erreichten wir den Zigo-Dome dann endlich. Hätten wir den direkten Weg gefunden, wären wir wohl nur 20 Minuten unterwegs gewesen. Wir verabschiedeten uns und wollten uns dann im Stadion wiedertreffen. Vom Forum war ein Fan-Treffen in einem Restaurant innerhalb des Zigo-Komplexes organisiert. Also trafen wir uns da… und alle kamen, Leider vergass ich diese Momente zu fotografieren. Erst zum Ende hin kam mir in den Sinn das ich ja einige Bilder machen könnte. Dann ein weiteres Missgeschick: Ich erwarb zwar das für die Mitglieder des Forums, die sich für’s Treffen angemeldet haben, das spezielle T-Shirt, vergass aber, es mitzunehmen. „It’s Closing Time – No, No No“. Genau so war das: Feierabend? Nein, noch lange nicht…

Danach gingen wir auf unsere Plätze, voller Erwartungen, voller Vorfreude, wie Kinder vor der Bescherung. Gleichzeitig war da aber doch dieses unbestimmte Gefühl… was kommt danach? Kommt überhaupt etwas? Warum habe ich mir keine Tickets für die „Down-Under-Tour“ gekauft, Preis und Vernunft hin oder her? Dann traf ich noch völlig überraschend einen Freund aus Berlin, den ich ein Jahr zuvor in Berlin und Hamburg kennenlernen durfte. Eigentlich wollte er Amsterdam auslassen… dann setzte er sich kurzentschlossen mit einem Freund doch noch ins Auto und fuhr nach Amsterdam. Eine gelungene Überraschung. In den ersten Reihen sassen sehr viele, über die Jahre bekannte Gesichter. Wir alle kannten uns letztlich ja nur wegen diesem einen Menschen. Leonard Cohen führte uns zusammen. Und dank der modernen Technik wurde es uns über das Forum her ermöglicht, zwei Tage vor Beginn des offiziellen Vorverkaufsbeginns jeweils unsere Tickets vorab zu bestellen, was eben dazu führte, dass wir immer wieder in der ersten Reihen, möglichst Mitte Bühne, unsere Sitze hatten. Wunderbare Voraussetzungen für einen perfekten Abend. Wie immer konnte man sich auch darauf verlassen, dass die Konzerte sehr pünktlich begannen, eine eher seltene Sache in der Musikszene.

Wie üblich begann auch dieses Konzert mit „Dance me tot he end of Love“. Danach stark aufbrandender Applaus, die Pressefotografen belagerten wie üblich in den ersten 15 Minuten mit ihren irre grossen Teleobjektiven den Bühnenrand, schossen ihre Fotos für die lokale Presse. Ich selber wollte mich mit Fotografieren an diesem Abend zurückhalten, ich wollte das Konzert voll geniessen. Am Ende dieses Abends hatte ich doch wieder über 1200 Fotos geschossen… Dann ging’s zügig weiter, Leonard Cohen lachte viel, tänzelte zu Javier Mas, kniete sich vor ihn hin, bedankte sich ausgiebig beim Publikum nach jedem Applaus und auch bei seinen Musikern. Aber etwas war anders… es lag einfach ein Hauch von Abschied über allem. Fast greifbar. Ich bin überzeugt, dass das auch Leonard Cohen selber wahrgenommen hat. Wie immer verging die Zeit so schnell, die Songs folgten in der bekannten Reihenfolge mit den schon üblichen Abweichungen. Und schon folgte „Anthem“, was während dieser Tour einige Male tatsächlich nicht gespielt wurde; ansonsten war das quasi de Vorankündigung der bald darauf folgenden Pause. Und weiter ging es… Beim Refrain von „Closing Time“ erschallte ein lautes „No, No, No“, entgegen (die Forum-Mitglieder hatten ein entsprechend bedrucktes T-Shirt übergezogen „Closing Time – No No No“). Das erinnerte mich kurz an Wien, Ende Juli, Auch da war das „No No No“ sehr deutlich zu hören und einige Male lachte er sehr. Und dann sagte er: „Friends, I wish that I could take you all with me wherever we go…“. Das war schon sehr speziell.. wie alles was er spontan sagte… das Intro beim Song „Always“ – ein Hammer. Die Erklärung des „Alt werdens“ (Stages) bei „Tower of Song“ in Australien 2013 usw. Niemals war es eine „Repetition“. Es war immer authentisch, es wirkte immer frisch. Nichts war aufgesetzt, nichts gekünstelt. Er war Leonard Cohen. Ein Gigant der Musik, der mit den leisen Tönen sehr viel sagen konnte – und einer der niemals urteilte. Einer der grössten Momente war als er den „Prince of Asturia“-Preis in Madrid 2011 entgegennahm. Seine Dankesrede war schlichtweg ergreifend. Da zeigte er, was mit Worten möglich ist. Das alles kam irgendwie in Amsterdam zusammen… und so werde ich Leonard Cohen immer in Erinnerung behalten. Ich vermisse ihn jeden Tag. Ich wünsche mir so sehr, dass seine ehem. Bandmitglieder sich für eine gemeinsame Tour zusammenfinden würden. Leonard Cohen wurde immer schon von den Besten der Besten begleitet, sowohl am Anfang seiner Karriere als auch bei der letzten Tour.

Es war eine tolle Zeit, aber leider wurde seine Prophezeiung nur allzu schnell wahr… Ich hoffe, daß er nun im „Tower of Song“ sein kleines schwarzes Notizbuch zückt und alles niederschreibt, was ihm dort einfällt…

Hier bleibt zu hoffen, dass wir vielleicht doch noch einige „Outtakes“ oder „Alternativversionen“ bekannter Songs zu hören bekommen.

Aber: Leonard Cohen fehlt; erst nach und nach wird klar, was mit ihm gegangen ist. Es gibt Menschen, die haben eine besondere Gabe: sie berühren das innerste Deiner Seele obwohl sie Dich nicht kennen; sie wissen ganz genau was Dir fehlt, sie helfen Dir indem sie Dir sagen dass Du nicht alleine bis mit Deinen Mühen. Und: sie nehmen den Schrecken des unfassbaren und erklären alles ohne belehrend zu sein. Das war Leonard Cohen für mich – ein Seelenleser, ein Beobachter der in wenigen Worten alles sagen konnte. Ich vermisse ihn.