The DesertTrip – Festival in Kalifornien –
– Die größte Rockshow aller Zeiten?
oder
Von einer einmal einer ganz anderen Rock-Festival-Erfahrung
Text & Pics: Prof. Dr. Christof Graf
Es war vielleicht nicht die größte, aber sensationellste Rockshow aller Zeiten. Es waren keine 500.000 Besucher an einem Wochenende an einem Ort, wie 1969 in Woodstock der Fall war, es waren nur 150.000 an zwei Wochenenden. Aber es wurde damit mehr Geld verdient, als je bei einem Rockfestival zuvor. Die Veranstalter sprechen von etwa 160 Millionen Dollar Umsatz. Was das „DesertTrip“-Festival zudem noch so besonders machte? Nie zuvor spielten The Rolling Stones, The Who, ein Ex-Beatle (Paul McCartney), ein Ex-Pink Floyd (Roger Waters), Neil Young und Bob Dylan zusammen auf einem Festival.
Aber wer will so etwas erleben? Alle! Als im Frühjahr 2016 das Festival für das erste Oktoberwochenende für den darauffolgenden Herbst angekündigt wurde, war es binnen kürzester Zeit ausverkauft. Binnen ebenso kurzer Zeit wurde für das darauffolgende Wochenende vom 14.-16. Oktober eine Wiederholung von „DesertTrip“ angekündigt. Dieses war trotz Preisen von 400 bis 1600 (!!!) Dollar ebenso binnen kürzester Zeit ausverkauft.
Eigentlich gibt es – auf das elementarste heruntergebrochen – nur drei Varianten ein solches Festival zu besuchen. Variante I: Man kauft sich rechtzeitig Tickets, packt seine sieben Sachen, plant und organisiert und verabschiedet sich schließlich für drei Tage aus der westlichen Zivilisation, um in eine Parallelwelt voll von neuen Werten und Normen einzutauchen. Variante II: Man gehört zu jenen Privilegierten, die V.I.P.-Pässe, Durchfahrtsscheine und sonstige Festivalerleichterungen genießen, packt seine sieben Sachen, plant und organisiert und verabschiedet sich schließlich für drei Tage aus der westlichen Zivilisation, um in eine Parallelwelt voll von neuen Werten und Normen einzutauchen. Oder Variante III: Man entscheidet am Tag des Festivals völlig spontan ein solches Unterfangen an den Start zu bringen, packt keine sieben Sachen, plant nicht und organisiert nicht und verabschiedet sich dennoch für drei Tage aus der westlichen Zivilisation, um in eine Parallelwelt voll von neuen Werten und Normen einzutauchen.
Anlass für diese Spontan-Entscheidung war eine Einladung zu Leonard Cohens letzter Album-Präsentation in L.A. am 13. Oktober 2016 (am 7. November verstarb der Singer/ Songwriter 82jährig). Es war der Tag, an dem verkündet wurde, dass Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur erhalten würde. Tags darauf eröffnete Dylan die Zweit-Auflage vom „DesertTrip-Festival“.
Die Idee für das „DesertTrip“ hatten die Organisatoren des „ Coachella Valley Music and Arts Festival“ kurz „Coachella“ genannt, ein „Hippie-Festival, das seit 1999 in Indio im Coachella Valley, Süd-Kalifornien jährlich an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden im Frühjahr stattfindet und zu den weltweit größten Festivals überhaupt zählt. „DesertTrip“ wurde als Pendant zu Coachella“ zum „Oldchella“, wie es Mick Jagger formulierte, gemacht. Keiner der Musiker war unter 70. Und das Publikum stand dem in nichts nach.
Die Masse der 75.000 war im selben Alter und nahm die wohl einzigartige wie auch letzte Gelegenheit war, diese hochkarätige Besetzung in diesem Paket überhaupt und zudem ein letztes Mal live zu erleben.
Die Anreise
Wenn man bedenkt, dass man für das Durchqueren vom Großraum Los Angeles mit dem Mietwagen allein schon vier Stunden (inkl. Freeway-Stau) benötigt, um dann auf dem Freeway 10 East in Richtung Palm Springs und von dort immer in Richtung Süden nochmal fast die gleiche Zeit benötigt, um schließlich einen weitentfernten Parkplatz bekommend, von dort mit einem Shuttle oder Taxi zum Festivalgelände pilgern muss, ist man froh, rechtzeitig am Morgen losgefahren zu sein. Showbeginn des ersten Acts warum um 6:50 p.m. Gegen 6 p.m. wurde es dunkel und mein Handy Akku liess nach. Aber man war dort.
Empire Polo Club, 81-800 Avenue 51. Der Neid auf jene, die 1600 Dollar teure Exklusiv-Tickets hatten, wurde immer größer, als ich irgendwann kurz vor Bob Dylans Act von ganz hinten das Areal erreichte und alles von weit hinten geniessen durfte. Positiv war, dass man spontane Tickethändler fand, die die Tix um ein Drittel des Preises kurz vor knapp verkauften.
Die Konzerte
Bob Dylan fing geradezu pünktlich an und lieferte bis auf einen Song exakt das gleiche Set ab, wie am Wochenende zuvor. Er begann mit einem Klassiker namens „Rainy Day Women“, würzte das ca. 80 Minuten-Set mit „Tempest“-Songs und schloss die Performance nach 16 Songs mit „Masters Of War“ ohne auch nur ein Wort an das Publikum zu richten. Geradezu ungewohnt war, dass er es zuließ, dass sein Konterfei auf der riesengroßen Leinwand im Hintergrund der spärlich beleuchteten Bühne hin und wieder zu sehen war. Leider nur in Schwarz-Weiß, aber immerhin, das hat es so seit der Zweitauflage von Woodstock 1994 noch nie bei einem Dylan-Gig gegeben.
Und dann kamen Sie, spielten „Jumpin Jack Flash“ als ersten und „I Can `T Get No Satisfaction“ als letzten der 20 Songs und hatten „gesiegt“. Die 73 Jahre von Mick Jagger sah man ihm optisch nicht an und nahm man ihm körperlich nicht ab, so vital wie er wieder einmal über zwei Stunden über die Bühne fegte. Agil wie ein Derwisch, noch immer diesselben Gesten und Mimiken, sofern man sie auf den Megaleinwänden sehen konnte, hatte man bei seinem Anblick das Gefühl, bei den Stones scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Und selbst der etwas Bauch angesetzte Keith Richards mit Kopfband und buntem Jäckchen wirkte noch wie in den 90ern Jahren, als man schon damals das Gefühl hatte, die Stones zum letzten Mal live zu erleben.
Der Überraschungs-Song „Come Together“ von den Beatles spielten sie am zweiten Wochenende leider nicht. Dennoch klang das bluesrock getränkte Set wie der perfekte Appetizer auf das kommende neue Album „Blue & Lonesome“.
Paul McCartney, der sich am ersten Wochenende die Ehre eines Stones-Covers mit „I Wanna Be Your Man“ gab, wiederholte das am zweiten Wochenende nicht. Dafür spielte er sage und schreibe 38 Songs, darunter drei mit Neil Young (A Day in the Life/ Give Peace a Chance/ Why Don't We Do It in the Road?) und einen mit Rihanna (ForFiveSeconds).
Zuvor war Neil Young auf der Bühne und gab sich eher politisch. Der engagierte Umweltschützer liess auf einer Bühne, von Statisten Samen sähen und in Schutzanzügen hochgiftigen Müll einsammeln.
„DesertTrip“ war vielschichtig, historisch und immer kurzweilig. Keine Vorgruppen, keine großen Umbaupausen und klangtechnisch auf der Höhe seiner Zeit. DesertTrip – ist eigentlich ein Wortspiel, das einen Drogenrausch in der Wüste assoziiert und genauso kam einem das ganze Spektakel vor, als man spät in der Nacht im Staubgetrampel von zigtausenden Rockpilgern das Gelände verliess.
Deserttrip 2016 war aber keineswegs ein Drogenrausch altgedienter Ex-Hippies. Es war eher ein für in die Jahre und gar in Rente gegangenen – zumeist männliche – Alt-Rocker, die schon längst im Leben gefestigt sind und sich für viel Geld ein Stück Jugend(-Erinnerung) zurückholten. Nicht im engen Durcheinander von Massen, sondern eher auf mitgebrachten Klappstühlen liess man sich beim Rockgenuss gar ausgesuchte Weine kredenzen. Rockfestival einmal anders.
Viel Geld erhielten auch die Akteure auf der Bühne. Von bis zu 10 Millionen Dollar pro Auftritt und Künstler war die Rede. Da sagten auch „The Who“ „Won't Get Fooled Again“ als sie an Tag drei ihren letzten Song anstimmten, bevor Roger Waters sonntagabends den „Desert Trip“ in der kaltgewordenen Wüstennacht beendete. Roger Waters mit „Anti-Trump-Parolen“ war wiederum politischer als die Tagesopener „The Who“. Die wussten mit einer ebenso beeindtruckenden wie zeitlosen Show wie die Stones zu beeindrucken. Pete Townshends Gitarren-Windmühle wirkt ebenso wenig aufgesetzt wie Roger Daltreys noch immer wie geölt klingende Stimme.
Drei Tage und sechs Acts der Rock-Aristokratie später, sowie Stress hin und wieder zurück nach L.A. zu kommen, wenn man sich für „Variante III“ entschieden hat, war DesertTrip eine Festival-Erfahrung der besonderen Art, die bei einer Neuauflage auch Besuchs-Variante I oder II verdient. Für 2017 existiert das Gerücht, Led Zeppelin nach Kalifornien zu holen.
Der Artikel erschien im Break Out Magazin No. 6/ 2016