Paul SIMON – Files

 

Von „Stranger To Stranger“ – Paul Simon mit neuem Album auf Tournee

oder

Songs of Streets`n`Rivers, Dylan und weitere Gemeinsamkeiten zwischen Paul Simon und Leonard Cohen

Text & Fotos: Prof. Dr. Christof Graf

 

Sie haben beide Musikgeschichte geschrieben. Sie haben beide Songs wie Denkmäler in die Welt gesetzt. Sie sind beide in die „Rock`n`Roll Hall Of Fame“ aufgenommen worden. Paul Simon 2001 und Leonard Cohen 2008. Beide haben nicht allzu viele, nämlich je nach Zählweise nur 13 Studioalben in den fünf Jahrzehnten ihres Wirkens aufgenommen. Bob Dylan, ein Weggefährte „along the road“ von beiden, brachte es immerhin auf 37. Paul Simon und Leonard Cohen, beide jüdischer Abstammung, starteten ihre Karriere in den 1960er Jahren. Der eine 1965, als er im Duo mit Art Garfunkel den „Sound Of Silence“ erfand, der andere 1968, als er sein Debutalbum mit „Songs Of Leonard Cohen“ veröffentlichte. Beide denken jetzt über das „Aufhören“ nach. Der eine, Leonard Cohen (82) hat es schon getan, der andere, Paul Simon (74) wird es erst noch tun, nachdem er nun sein neues Album „Stranger To Stranger“  veröffentlicht hat und 2016 wohl ein letztes Mal auf Deutschlandtour gegangen sein wird.

 

Beide, Simon und Cohen, waren geprägt vom Songwriting des Folk-Rock der 60er. Es war wie heute eine Zeit des Umbruchs. Damals ging es in den USA um die schwarze Bürgerrechtsbewegung und die Anti-Vietnamkrieg-Bewegung. Der Schwerpunkt des damaligen Folkrock lag im Verknüpfen einfacher Melodien mit tiefsinnigen, gesellschaftspolitischen Inhalten der Zeit.

Es gab einige Gemeinsamkeiten, Affinitäten und immer wieder Gründe und Anlässe, die Schnittpunkte des Simon`schen und Cohen`schen Liedgutes zu beleuchten. Beide schrieben Songs über Straßen (Cohen über die „Clinton Street“ im Song „Famous Blue Raincoat“ und Simon im gleichnamigen Song „Bleeker Street“) und sie schrieben über Flüsse (Simon über den „Hudson River“, Cohen über den „Saint Lawrence River“). Beide schrieben Songs über Väter (Simon in „Slip Slidin`Away“ und Cohen in „Story Of Isaac“). Für beide waren „Blätter“ (Leaves) wichtig. Für den einen, Simon, im Song „Leaves That Are Green“ und für Cohen im Song „Sisters Of Mercy“. Beide ließen Themen wie das sie prägende Judentum, New York City und die Liebe zur Musik außerhalb des angloamerikanischen Sprachraumes in ihr Liedgut einfliessen. Cohen „jiddisches“ und „spanisches“ Liedgut, Simon eher „afrikanisches“. Beide spielten in Highschool-Bands und waren jeweils ihre besten Singer/ Songwriter und Interpreten. Beide arbeiten langsam, veröffentlichten bei Columbia und erarbeiteten sich eine lange Karriere – und beide tragen gerne Hut (einen „Fedora“ zuletzt). Nur einer ging jemals mit Bob Dylan auf Tournee: Paul Simon 1996.

Paul Simon, Schöpfer von unsterblichen Liedern wie „Sounds Of Silence“, „Late In The Evening“ oder „Call Me Al“ zeigt sich auf dem aktuellen Album „Stranger To Stranger“ wieder einmal experimentell. Mit fast 75 Jahren hat er den Rat seines großen Vorbilds Philipp Glass beherzigt, der ihm sagte: „Wenn du es nicht machst, würde niemand solche Paul-Simon-Songs schreiben.“

Doch die neuen Songs klingen bei aller Experimentierfreude nicht fremder als früheres Material, dazu ist Paul Simons Stimme viel zu sehr Bestandteil des allgemeinen Gedächtnisses. Ebenso bekannt ist auch die erneuerte Kooperation mit dem 81-jährigen Roy Halee, der das Album produzierte und bereits 1964 den typischen Simon-and-Garfunkel-Klang schuf. Wieder umgibt also ein eigener Klangraum Paul Simons Gesang, ein Resonanzfeld, das dem Charakter der Stimme, der Melodie und des Textes ein wenig mehr Platz lässt. Die Arbeitsweise Simons ist geblieben: „Erst war der Sound da, dann kamen Textzeilen, Thema und Melodie“, sagt er und meint auch, dass die Texturen dieses Mal sehr dicht sind. Das Musikgewebe ist vielfältig und klingt simon-a-like sehr „worldmäßig“, bestehend aus der Arbeit von Flamencokünstlern, italienischen Dance-Musikern und von Gospelsängern. Höhepunkt ist das Titelstück, in dem elektronische Dance-Music mit einer einsamen Jazz-Trompete kontrastiert wird. Das instrumentale „In The Garden Of Edie“ ist Simons Frau Edie Brickell gewidmet. „The Riverbank“ erinnert an den Amoklauf an der Sandy-Hook-Elementary-School. „Cool Papa Bell“ ist nach einem Baseballstar benannt. „Proof Of Love“, wo Paul Simon zu dem (Lebens-)Fazit kommt, dass da, wo Worte schwinden, immer die Sprache der Musik bleibt, klingt gar romantisch.

Fast wirkt Simons „Stranger To Stranger“ ebenso wie ein Spätwerk wie „Popular Problems“ bei Leonard Cohen. Und wahrlich, es gibt noch mehr Gemeinsamkeiten, die über die gegenseitige Wertschätzung der Künstler hinausgehen. 2012 erhielt Cohen z.B. zusammen mit Chuck Berry den PEN AWARD für „Song Lyrics of Literary Excellence" an der JFK Presidential Library in Boston, eine hohe US-amerikanische Auszeichnung für Literaten. Bono, Rosanne Cash, Elvis Costello, Bill Flanagan, Salman Rushdie und Paul Simon waren zugegen, als Leonard Cohen zusammen mit Chuck Berry geehrt wurde. Keith Richards und Elvis Costello musizierten für die beiden auf der Veranstaltung. Salman Rushdie hielt die Laudatio auf Cohen, und Überraschungsgast und Mitbegründer der Rolling Stones, Keith Richards, sprach über Chuck Berry. Aber auch Bob Dylan meldete sich trotz Abwesenheit zu Wort. In einer E-Mail, die von Bill Flanagan verlesen wurde, nannte Bob Dylan Berry „the Shakespeare of Rock & Roll“ und Cohen „the Kafka of the Blues“. Cohen konterte bei seiner Acceptance Speech später, dass er im Vergleich zu Berrys „Roll Over Beethoven“ nur im Sinne von Walt Whitmans „joyful noise“ ein bisschen „barbaric yawp“ fabriziere. „If Beethoven hadnʼt rolled over, thereʼd be no room for any of us“, meinte Cohen und blinzelte zu Paul Simon hinüber.

Denn der gehört nach Meinung Cohens auch in jene Riege von Künstlern , die den PEN Award verdienen. Eine Wertschätzung ließ Cohen Paul Simon schon 2007 zukommen, als er einen Beitrag zu dem Album „ A Tribute To Paul Simon“ lieferte, in dem er  den Text von "The Sounds Of Silence" rezitierte. Was auch wenige wissen: Beide Künstler teilten sich als Festival-Headliner schon 2008 eine gemeinsame Bühne, aber nicht zur selben Zeit. Cohen trat 2008 beim „Stimmen“-Festival in Lörrach am Freitag- und Simon beim Samstag-Konzert auf. Eine weitere kuriose Affinität: Paul Simon und Tochter interpretierten Leonard Cohens „Hallelujah“ 2012 beim “For Children's Health Fund Benefit Concert” in der Radio City Music Hall in New York.

Und dabei hat Paul Simon zunächst mit einem ganz anderen Künstlerkollegen Musikgeschichte geschrieben: Mit „Sounds of Silence“ gelang nämlich dem Duo „Simon & Garfunkel“ 1965 nicht nur der internationale Durchbruch. Songs wie „Homeward Bound“, „I Am A Rock“ und die Hymne „Mrs. Robinson“ aus dem Film „Die Reifeprüfung“ etablierten Simon & Garfunkel sogar als Superstars. Die Götterdämmerung kam 1970 mit „Bridge Over Troubled Water“, dem erfolgreichsten Album dieser Epoche, das gleichzeitig auch eine entscheidende Zäsur markierte. Art Garfunkel entschied sich für eine Schauspielkarriere, während sich Paul Simon wieder einmal auf sich selbst konzentrierte. „There Goes Rhymin‘ Simon“ war 1973 der erfolgreiche Befreiungsschlag, der Hits à la „Loves Me Like A Rock“ und „Take Me To The Mardi Gras“ hervorbrachte. 1975 erreichte er mit dem Album „Still Crazy After All These Years“ und den Singles „50 Ways To Leave Your Lover“ sowie „My Little Town“ auch als Solokünstler die Höhen der Simon & Garfunkel-Popularität. Diese übertraf er sogar noch 1986 mit dem genialen „Graceland“-Album, einer Symbiose seiner Folkmusik mit der Folklore Südafrikas, das bis heute als Blaupause für die perfekte Verbindung von Pop und Worldmusic gilt. „Graceland“ ist eine Verbeugung vor Afrika: Ob Township Jive, magischer Gitarrensound oder begnadete Stimmen – Paul Simon vereinte Rhythmus mit Melodien, Exotik mit dem Abendland, Fröhlichkeit mit Melancholie und durchaus sozialkritischen Texten.

Der Ausnahmemusiker Simon wurde für den Oscar und den Golden Globe nominiert und gewann zudem ein paar Grammys mehr (12), als Leonard Cohen. Als er 2007 den „Gershwin-Preis“ erhielt, meinte der Laudator: „Nur wenige Songwriter hatten einen größeren Einfluss oder leisteten einen größeren Beitrag zur Liedkultur als Paul Simon, der zudem wusste, eine Brücke zwischen den Völkern und den Kulturen zu schaffen“.

Auch wenn Cohen nicht als der Weltmusiker gilt, so haben beide noch etwas gemeinsam: Wenn Paul Simon die Bühne betritt, verhält sich der kleingewachsene, ergraute Rockpoet denkbar ebenso unspektakulär. Ohne das Publikum anzusehen, dessen Jubel ihn und seine Band umtost, hebt er die Hand zum Gruß, so als wäre ihm die Bewunderung unangenehm und beginnt zunächst erst einmal seine Kunst vorzutragen. Im weiteren Konzertverlauf bedankt sich Simon – ebenso wie es Cohen zu tun pflegte – mit einem buddhistischen Handgruß der Ehrerbietung. In den ersten Liedern merkt man bei beiden deutlich das Bemühen, den bekannten Klassikern ein neues musikalisches Gewand verleihen zu wollen, sich ein wenig von den bekannten Studioversionen lösen zu wollen.

Doch bei beiden Künstlern fallen die Neudeutungen nie so radikal aus wie die von Bob Dylan, denn das widerspricht der eher gemäßigten Natur von beiden, die nicht zu abrupten Kehrtwenden, sondern zur stetigen Weiterentwicklung neigt. Doch die scheint nun zu Ende zu gehen. Paul Simon denkt nach dieser Tournee bereits an die verdiente Ruhepause. Aber vielleicht eröffnet „Still Crazy After All These Years“, ein populärer Song aus dem derzeitigen Live-Repertoire, die Möglichkeit für ihn, doch nochmal neue Wege zu gehen.

Nur zwei Konzerte gibt Paul Simon 2016 in Deutschland: am Di, 18.10.16 in der Arena in Leipzig (Tickets ab 74 €) sowie in Berlin am Do, 20.10.16 im Tempodrom (Tickets ab € 90,90). Infos: www.eventim.de

 

Quelle: HIFI MAGAZIN HÖRERLEBNIS no. 97 – 2016