a – archives – Looking for Bob Dylan von Michael Brenner

  • Inhalt, Vorwort & Nachwort

Die Buchrezension von Michael Brenners Publikation findet man unter folgendem Link im Blog. Das Buch „Looking for Bob Dylan: Bob Dylan, Zeitgeschichte & Zeitgeist Vol I: Krieg der Generationen“ ist „ein Traum von einem Buch, heißt es in der Rezension. Anbei Inhaltsverzeichnis, Vorwort sowie ein Kapitel (Nachwort), das der Autor freundlicherweise zur Veröffentlichung in der COHENPEDIA zur Verfügung gestellt hat.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort:  Looking for Bob

Träume und Identität

Unterwegs

Genius unfolding

Bob und Joan

Die frühen 1960er

Meine Reise mit Bob 1

Worte und Songs

Der Kampf um Bürgerrechte

Leben im Kalten Krieg

Stimme seiner Generation

Meine Reise mit Bob 2

Der Geist der Elektrizität

Bobs Rückzug

Die späten 1960er

Beatmusik und Revolte

Der Krieg in Vietnam

1968, das Jahr der Revolte 

Liebe im Sommer

Meine Reise mit Bob 3

Zurück auf der Bühne

Meine Reise mit Bob 4

Neue Meisterwerke

Meine Reise mit Bob 5

Nachwort:  Zurück in der Gegenwart

Vorwort:


How does it feel, how does it feel? Der Refrain aus dem Song Like a Rolling Stone von Bob Dylan. Keine Frage nach der Befind-lichkeit, sondern Wut über die Verhältnisse.

Bob Dylan ist der 2016 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnete Songwriter, Musiker und Poet. Er gilt nicht nur als einer der wichtigsten Musiker des 20. Jahrhunderts, sondern war in den 1960ern auch Stimme und Gesicht der sozialen und politischen Revolte der Jugend. Zum ersten Mal in der mensch-lichen Geschichte rebellierte eine ganze Generation gegen die Welt ihrer Eltern.

Das Jahrzehnt erlebte den Krieg der Jüngeren gegen die Älteren. Für Bürgerrechte und persönliche Freiheit in Denken, Leben und Sexualität. Für Frieden, gegen den Wahnsinn des Kalten Kriegs. Für gesellschaftlichen Fortschritt, gegen den Krieg in Vietnam. Für Love and Peace, für eine größere persönliche Freiheit und eine umfassende Demokratisierung aller Lebensbereiche.

Menschen können sich nicht aussuchen, wo und zu welchem Zeitpunkt der Geschichte sie geboren werden. Sie sind nur Rei-sende, die für die kurze Zeitspanne ihres Lebens anwesend sind. In späteren Jahrhunderten, wenn es sie dann gibt, werden Men-schen sich vielleicht fragen, wie war es, in den 1960ern dabei gewesen zu sein? Wie war es, den Kalten Krieg, die Kuba-Krise und den Krieg in Vietnam zu erleben, die Concorde und die Mondlandungen, die Beatles und Bob Dylan?

Für die Generationen, die während und nach Zweiten Welt-krieg geboren wurden, hatte Hitlers Tod nicht den erhofften Frieden gebracht, sondern den Kalten Krieg. In Ost und West hielten Militärs in Uniform ihre Finger am roten Knopf und spielten mit dem Untergang der Menschheit im atomaren Inferno.

Ich wurde 1951 geboren. Meine Kindheit und Jugend ver-brachte ich in dem trostlosen westdeutschen Nachkriegsland, in der materiellen Not und der menschlichen Dürre nach dem Na-tionalsozialismus. Mein Vater hatte in Hitlers Wehrmacht ge-kämpft und war psychisch krank. Meine Mutter, ein verletztes junges Mädchen, das Schlimmes erlebt hatte. Wer die Hölle auf Erden suchte, fand sie in den traumatisierten Familien Deutsch-lands nach 1945 so wie ich in meiner.

Doch mit den 1960ern begann für Jüngere die gefühlte Befreiung. Mit den Songs der Beatles und Rolling Stones, mit langen Haaren, kurzen Röcken und der sexuellen Revolution. Die laute Beatmusik veränderte auch meine kleine Welt wie Licht die Dunkelheit. Dann öffnete Bob Dylan die Tür zu den Sternen. Er konnte über das singen, was ich mich nicht einmal traute zu denken.

Seine Lieder verkündeten Protest gegen die Verhältnisse und Träume einer besseren Welt. The purpose of Art is to inspire hat er einmal gesagt. Das tat er. Wie kein anderer Künstler verbreitete Bob Dylan mit seiner Musik soziale und politische Inhalte. Mit Siebzehn entdeckte ich ihn, danach war mein Leben nicht mehr dasselbe. Tag und Nacht lauschte ich seinen Songs.

Er wirkte wie eine Droge, die mich und meinen Blick auf die Realität veränderte. The times they are a-changin’ und Blowin’ in the wind stehen heute in Geschichtsbüchern. Masters of war, die wütende und aggressive Anklage gegen Militär und Kriegstreiber, kann als ein Meilenstein der Zivilisation gesehen werden. Später dann verdichtete er mit Like a rolling stone die Gefühlswelt der Jün-geren zu einem einzigen genialen Song, der alles erklärte.

Ohne Bob Dylan wären die 1960er nicht die Sechziger gewe-sen. Heftig und unumkehrbar veränderten die Jüngeren die Welt. Sie führten zu einem gesellschaftlichen Wandel, der die west-lichen Werte und Lebensweisen bis in die Gegenwart bestimmt. Frühreif machte ich bei politischen Aktivitäten mit und ließ mich mit Lenin, Marx und Mao schulen. Bei Demonstrationen warf ich Steine auf Polizisten, gegen den schmutzigen Krieg in Vietnam, gegen Napalm und Agent Orange auf Kinder, gegen den Bundes-kanzler mit der Nazi-Vergangenheit, gegen meine Wut und Leere, gegen die Welt, wie sie war. Manchmal stahlen wir dem Schul-verein etwas Geld und schickten es dem Vietcong für den Kampf um sein Land. Mit siebzehn saß ich eine Nacht im Gefängnis. Ich war jung und glaubte, wir würden gewinnen.

Unausweichlich musste ein Junge wie ich auf Bob Dylan treffen. Seine Songs begleiteten mich wie ein guter Freund oder ein älterer Bruder, er stand mir näher als meine Eltern. Doch wer ist Bob Dylan? Nur die Projektionsfläche meiner jugendlichen Hoffnungen und Träume? Sänger und Musiker oder Erlöser? Ein Poet? Ein Aktivist für Frieden und Humanität? Oder ein politi-scher Akteur oder Prophet? Ein musikalischer Pilger oder gar Revolutionär? Ein Feldherr mit Songs als Waffen? Eine Illusion?

  Warum bekam er, die Ikone der jugendlichen Hoffnung der 1960er, den Nobelpreis für Literatur ausgerechnet zu dem Zeit-punkt, an dem die Welt wie rasend zerfällt? In einer Periode, in der immer mehr Menschen in der westlichen Welt den Glauben an eine bessere Zukunft für ihre Kinder und sich verlieren, in der die Auflösungserscheinungen von Demokratie und Gesellschaft unübersehbar sind, in der gewaltige Probleme täglich lauter an unseren Türen hämmern weil wir sie verdrängen?

Vielleicht war die Preisvergabe nicht nur eine literarische Ehrung, sondern auch ein Fingerzeig an die Welt, denn noch immer wirken Dylans politische Songtexte so aktuell, als hätte er sie gestern Nacht geschrieben, nicht nur zu Themen wie Rassis-mus und Unterdrückung, Krieg und sozialem Unrecht. 

Meine Erzählung verknüpft Bob Dylan mit seiner Zeit und stellt seinen Lebensweg in Verbindung zu seiner gesellschaft-lichen Bedeutung. Ich beschreibe die soziale und politische Dimension seiner Songs, mich interessiert, was er in seiner Gene-ration bewirkt hat, deren Stimme er war, aber nie sein wollte. Meistens zumindest.

Nachwort: Zurück in der Gegenwart

Während ich am 13. November 2017 diese Zeilen schreibe steht Bob Dylan auf Platz eins der UK Record Store Charts mit Trouble no more. The bootleg series 13.[i] Zwei Abende vorher hat er in dem kleinen Städtchen Upper Darby in Pennsylvania das drei-undsiebzigste Konzert im Jahr 2017 gespielt. Vor fünfzig Jahren nahm er Don’t think twice auf. Längst wurden seine Songs und Texte zu Elementen unserer Kultur und unseres Lebens.How many roads must a man walk down, before you call him a man? Vernehmen wir diese Worte, dann wissen wir, ohne groß nachdenken zu müssen, es ist Bob Dylan, auch ohne Refrain und Musik, so selbstverständlich, wie wir den Eiffelturm, die Pyrami-den oder das Gesicht von Albert Einstein erkennen können.

Seit 1988 ist Bob ohne größere Unterbrechungen auf den Bühnen der Welt unterwegs, von seinen zahlreichen Fans Never Ending Tour genannt. I’m mortified to be on the stage, but then again, it’s the only place where I’m happy, sagte er dazu und weiter: It’s the only place you can be who you want to be. You can’t be who you want to be in daily life. I don’t care who you are, you’re going to be disappointed in daily life. But the cure-all for all that is to get on the stage, and that’s why performers do it. But in saying that, I don’t want to put on the mask of celebrity. I’d rather just do my work and see it as a trade. [ii]

 Unterwegs zu sein und aufzutreten wurde zu seinem Le-bensinhalt.Touring is something you either love or hate doing. I’ve experienced both. I try to keep an open mind about it. Right now, I’m enjoying it. The crowds make the show. Going onstage, seeing different people very night in a combustible way, that’s a thrill. There’s nothing in ordinary life that even comes close to that, erklärte er im April 1999 zu Edna Gundersen für USA Today.

Auch in der Gegenwart können Konzerte von Bob Dylan begeisternde Ereignisse sein.If you want to spend two hours in the company of a musical genius who, at the age when most artists are happy to cash-in with a few appearances and a flawless rendition of their finest moments, continues to redefine his legacy and challenge himself and his audience then there is only one choice left available to you. Bob Dylan awaits your presence. Just don’t expect him to shake your hand at the door on your way in. [iii]

Mehr als sechshundert Lieder hat er im Laufe der Zeit ge-schrieben, mehr als dreihundertfünfzig davon live gesungen. Er gilt als einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts. Seit Karrierebeginn verkaufte er mehr als einhundert Millionen Langspielplatten. Dazu brachte er Kinofilme heraus und es ent-standen Filme über ihn. Ebenso veröffentlichte er Bücher und es gibt Malereien und Skulpturen von ihm. Man muss, wie Leonard Cohen, selbst ein Großer, über ihn gesagt hat, am Mount Everest kein Schild anbringen, dass er der höchste Berg sei.

In den letzten Jahrzehnten hat Bob sich zu einem Troubadour entwickelt, zu einem Performing Artist, dessen Kunst auflebt, wenn er auf der Bühne erscheint. Mehr als 3.600 Mal stand er vor Livepublikum, so oft wie kaum ein anderer Künstler. Doch der Mensch Bob Dylan ist tief verborgen. Für die breite Öffent-lichkeit gilt er als eine geheimnisvolle Person. I’m Not There lautet der Titel eines Kinofilms über ihn, Masked and Anonymous der eines anderen.

Weniger denn je könnte ich die Frage beantworten, wer Bob Dylan ist. Möglicherweise ist derjenige Bob Dylan, den die breite Öffentlichkeit wahrnimmt, nur eine Kunstfigur, eine Illusion, die geniale Erfindung eines ungewöhnlichen Jungen aus einer Klein-stadt im Nirgendwo, der seinen Träumen folgte. Ich bin nur Bob Dylan wenn ich Bob Dylan sein muss, meistens bin ich einfach ich selbst, soll er einmal gesagt haben. Wir Zuschauer sehen nur unter-schiedlichen Personen, die unter diesem Namen in die Öffent-lichkeit treten, mit immer neuen Gesichtern und künstlerischen Inhalten. Ein großer Teil der Faszination, die von ihm ausgeht, stammt aus seiner extremen Wandelbarkeit, aus wechselnden Alter Egos in unterschiedlichen Schaffensphasen.

Nie ist er angekommen, nie hat er künstlerisch stillgestanden. Stets folgte er seinen eigenen Plänen und Zielen, auch in der Verweigerung gegenüber allen Erwartungen des Publikums und seiner Fans. Kaum einmal hat er sich und seine Songs tiefer erklärt, nie tat er das Erwünschte. Nur selten sind seine öffent-lichen Äußerungen direkt und offen, fast immer erfolgen sie distanziert, abwehrend, ironisch und desinformierend, versteckt hinter Andeutungen und Bildern. Sich zeigen und verschwinden wurde zu Bobs künstlerischem Weg, vielleicht auch zu seiner Überlebensstrategie. Dieses Prinzip lässt ihn gelegentlich als Freak und Sonderling wirken, von mir liebenswert gemeinte Bezeichnun-gen. Keiner kann verlässlich sagen, wo der Mensch Robert Zimmerman endet und der selbstgeschaffene Mythos beginnt. Vielleicht schon im Kopf eines pubertierenden Jungen.

Bob Dylan ist der Mann, der niemals da war, […] immer einen Schritt weiter, als seine Anhänger es von ihm erwarteten. Und so war und ist Dylan nie Dylan, sondern immer ein anderer.[iv] Wieder und wieder erscheint er in veränderter Gestalt, als Person und musikalisch. Sobald er fassbar wird, verschwindet er wieder. Und kehrt zurück. Höchst selten erklärt er sich, jeder Zuordnung verweigert er sich. Dafür lässt er seine Kunst sprechen, seine Songs, Bücher, Filme und Malereien. Manchmal wirkt sein Dasein wie gelebte und öffent-lich dargestellte Psychotherapie, von ihm selbst an ihm selbst. Lebenslange Neuerfindung als ewige Suche nach seiner Kunst und vielleicht auch nach sich selbst.

Bob Dylan is a painter. The night is the canvas. The songs are the blueprint. When he comes to the stage he lifts his painting brush and palette anew each night, a little more blue in this song, a little more red in this, thick strokes of colors, layer by layer, that makes each night a new and unique experience, for the artist himself, and for the audience. He’s given up any attempt of perfection a long time ago, but that’s the beauty of it. That’s where the art begins.[v]

Sein Verhältnis zur Welt und zu seinem Ruhm ist kompliziert, das zu Presse und Medien voll an Widersprüchlichkeiten. Ehrun-gen, und davon gab es viele, erträgt er meist mit einer Mimik und Körperhaltung, als hätte er große Schmerzen oder würde gequält werden. Konsequent hat er sich trotz seines riesigen ökono-mischen Erfolgs jeder Kommerzialisierung und Markenbildung entzogen, dem Zwang zur Festlegung, zur Lieferung von ewig Ähnlichem. Nie hat er seine künstlerische Integrität aufgegeben, anhaltend verweigert er sich jeder Vereinnahmung. Wie kaum eine andere öffentliche Person steht Bob Dylan für Distanz zu Medien und zum Publikum, die gelegentlich auch extrem unhöf-lich wirkt.

Schon früh begann er, sein Ich und seine private Existenz konsequent vor der Öffentlichkeit abzuschotten. Höchst selten und wenn, dann nur sehr kontrolliert, gibt er Persönliches preis. Bis auf sein direktes Umfeld weiß kaum jemand etwas über den Menschen und seinen Alltag. Wer möchte nach Jahrzehnten noch immer gefragt werden, wohin bläst der Wind und was bedeutet Hard rain wirklich? Zugespitzt könnte man sagen, Bob Dylan hat die Abschottung seiner Privatheit zu einer Kunstform entwickelt.

Unseretwegen: Because of us that he abjures politics, because of us that he retreats from us, because of us that he no longer talks to us from the stage. „What the hell is there to say?“ he has asked, adding that no matter what he says, we would want him to say more. We would want him to lead us. We would want him to tell us the meanings of his songs. We would want him to play his songs the same way every night, the same way he played them on his records. […] We would want him to deliver prophecies.[vi]

Konsequent entzieht sich Bob jeder Darstellung als Celebrity. 1986 sagte er in einem Interview der BBC, nur weil ich ein paar berühmte Songs geschrieben habe, wisst ihr gar nichts über mich.[vii]

Viele außergewöhnliche Ereignisse begleiten seine Karriere. Etwa der 10. November 1996 in Mankato, Minnesota, fest-gehalten auf faszinierenden Videos. Ein Abend, als die Security versagte und während der Show mehrere Teenager auf die Bühne gelangten. Sie tanzten fröhlich herum und riefen Bob freundliche Worte zu. Teeniegirls umarmten und küssten ihn, bevor sie wieder verschwanden, während er cool Rainy day woman #12 & 35 zu Ende brachte.[viii] Ähnliches passierte am 12. November in Dubuque, Iowa,[ix] sowie am 16. November in Davenport, Iowa. Bob and two girls dancing wonderful on stage.[x]

Herausragend die Show 1993 im niederländischen Eind-hoven, als es lovely Swiss-Liz auf die Bühne schaffte und mit Bob The times they are a-changin’ sang, ohne von der Security entfernt zu werden.[xi] Oder am 28.11.2013, als er am Ende seiner Show in der Royal Albert Hall in London plötzlich zum Bühnenrand ging und Hände schüttelte, er, der ewig Abgegrenzte und Distanzierte, der seit Jahrzehnten kaum einmal mit seinem Publikum redet.

Oder Bobs Auftritt vom Februar 1991 bei der Grammy-Verleihung, als er einen Lifetime Achievement Award erhielt und nach der Laudatio von Jack Nicholson eine nahezu unverständ-liche Version von Masters of war herunterspielte. Vordergründig wirkte die Performance wie ein Desaster, doch erhält sie Sinn, wenn man die historischen Umstände berücksichtigt. Im Irak und in Kuwait tobte gerade der erste Golfkrieg und die politische Zensur lag so deutlich über der Veranstaltung, dass dem New Kid on the Block Donnie Wahlberg verboten wurde, ein T-Shirt mit der Aufschrift War sucks zu tragen.[xii]

Oder die Grammy-Verleihung 1998, bei der Bob für Time out of mind drei Grammy-Auszeichnungen erhielt.[xiii] Er trug gerade einen Song vor, als der Multimedia-Künstler Michael Portnoy ungeplant die Bühne enterte und eine bizarre Tanzperformance als Soy Bomb hinlegte, bis er schließlich abgeführt wurde.[xiv]

Ebenso der regnerische Tag in New Jersey 2009, an dem eine junge Polizistin Bob zur Identitätsprüfung mit auf die Poli-zeistation nahm. Er hatte den Tourbus verlassen und strolchte durch die Gegend, als Anwohner die Cops riefen, weil er ver-dächtig wirkte. When Dylan wandered into the yard of a home that had a ‘For Sale’ sign on it, the home’s occupants became spooked by his appearance and called police with a report of an ‘eccentric-looking old man’ in their yard, Long Branch Police said.[xv] Weder die Polizistin noch ihr älterer Kollege wollten ihm glauben, dass er Bob Dylan sei.

Vor einigen Jahren konnte man eine Zeitungsnotiz finden, dass Bob im Kindergarten seiner Enkel auffiel, als er dort unge-fragt ein paar Songs vortrug. Einige […] Kinder hätten zu Hause von einem seltsamen Typen berichtet, der gruselige Lieder singt.[xvi]Ein weiteres besonderes Ereignis ist die Show vom 23. November 2014 in der Philadelphia Academy of Music, als er im Rahmen der schwedi-schen Filmserie Experiment Einsam mit seiner Band in Philadelphia in der Academy of Music für nur einen einzigen Zuschauer spielte, den Journalisten Fredrik Wikingson.[xvii]

Unzählige Geschichten werden über Bob erzählt, wie die-jenige, die Jeff Tweedy aus der Band Wilco zugeschrieben wird: Here is a Dylan story […] Tweedy heard it from his bass player. His bass player heard it from a girl he knows. The girl lived it. She was walking down the street in Memphis […] „She looked into the basement windows of a hotel, and she saw Bob Dylan swimming in the pool with his bodyguard. She decided, ‚Let’s go see what happens if I say hi.‘ She walked into this hotel, and she walked over to the pool and said hi, and he took pictures with her. She said that she was a big fan and he said, ‚How many times have you come to see me?‘ She said, ‚Twenty-five.‘ And he said, ‚Oh, man, how can you take it?‘ „[xviii]

Im Oktober 2016 bekam Bob Dylan den Nobelpreis für Literatur verliehen. Die Auszeichnung erfolgte für seine poetischen Neuschaffungen in der großen amerikanischen Gesangstradition. Das Nobelkomitee erklärte im Rahmen seiner Würdigung, the music, the social commentary, the public performance all mattered. He’s a very interesting traditionalist, in a highly original way, not just the written tradition, but also the oral one; not just high literature, but also low literature.[xix] Zum ersten Mal erhielt ein Songwriter diese be-deutendste aller literarischen Ehrungen. Wie immer bei seiner Person löste dieser Vorgang neben großer Begeisterung auch Kontroversen aus. Aber deutlich überwogen Zustimmung und Freude gegenüber kritischen Reaktionen. Manchen galt er als nicht literarisch genug, so als ob Songs keine Poesie seien. War nicht Suzanne von Leonard Cohen ein Gedicht, bevor er die Worte sang und sie unsterblich machte? Doch es erscheint nicht notwendig, die Preisverleihung oder gar ihn selbst zu verteidigen.

Der öffentlichen Zeremonie entzog er sich und ließ erst nach tagelangem Schweigen verkünden, er habe bereits andere Pläne. When he finally showed up in Stockholm, during an April [2017] tour stop, to receive the Nobel medal, he looked more like a cat burglar than a laureate, sneaking into the private prize hand-off through a service door, wearing a hoodie, leather jacket, and gloves. Es muss eine dunkle und kalte Nacht am Waterfront Congress Center in Stockholm ge-wesen sein, wo Bob unter Ausschluss jeder Öffentlichkeit in einem kleinen Raum den Nobelpreis entgegennahm. Wahrschein-lich wehte ein eisiger Wind vom Klarabergsviadukten herüber. Es ist kurz nach Mitternacht. Im Backstagebereich des Waterfront […] warten die Mitglieder der Nobelakademie, angeführt von ihrer Vorsitzenden Sara Danius, bereits seit mehr als einer Stunde auf Bob Dylan. […] Derweil schleicht […] draußen eine Gestalt mit tief ins Gesicht gezogenem Hut durch den Nebel auf eben dieses Konzerthaus zu. Es ist Bob Dylan, der es wörtlich meint, wenn er sagt, er werde den Preis ohne [jede] Öffentlichkeit entgegen-nehmen.[xx]

Erst wenige Tage vor Ende der gesetzten Deadline lieferte er im Juni 2017 seine Nobel Lecture ab. Ein Tondokument, in dem er siebenundzwanzig Minuten lang von seinen kulturellen Wur-zeln berichtet, nur begleitet von einem leisen Jazz-Piano. Vier-tausendacht Worte, mit denen er über sich, Musik und Literatur erzählt. The Odyssey is a great book whose themes have worked its way into the ballads of a lot of songwriters: Homeward Bound, Green, Green Grass of Home, Home on the Range, and my songs as well.[xxi]

Der Nobelpreis würdigt Bob Dylans literarische Leistung. Doch stelle ich seine Auszeichnung in ihren historischen Kontext, erscheint sie mir, ein wenig jedenfalls, auch als eine Anerkennung der Jugend der 1960er und deren gesellschaftsverändernder Wirkung, die von seinem Werk und Leben nicht zu trennen ist. Und wer weiß, vielleicht war die Preisverleihung sogar als ein politisches Zeichen an die Welt gemeint, in Zeiten, in denen man täglich mehr an der demokratischen Staatsform verzweifeln kann, wenn Wahlen sich immer öfter als Entscheidung zwischen Pest und Cholera herausstellen, mit denen gleichermaßen der Weg in eine falsche Richtung fortgesetzt wird. Nicht nur in Amerika.

Zunehmend fühle ich mich ähnlich zornig wie mit siebzehn, als ich Dylans Songs kennenlernte und mich in sie verliebte. Mein Blick ist der eines Kindes der 1960er geblieben, getragen von Begeisterung für Träume und abgrundtiefer Skepsis gegenüber der Realität. Die Gegenwart betrachte ich pessimistisch, ver-mutlich nicht als Einziger. Every moment of existence seems like some dirty trick. Happiness can come suddenly and leave just as quick. Any minute of the day the bubble can burst.[xxii] Besser als Bob könnte ich es nicht ausdrücken.

Anfang der achtziger Jahre war die atomare Nachrüsting ein großes Thema in Deutschland. Als einer von vielen hundert-tausenden Teilnehmern nahm ich an der großen Friedensdemon-stration in der früheren Hauptstadt Bonn teil. Am Straßenrand saß ein junges Mädchen, kaum älter als fünfzehn. Sie trug Jeans und ein weißes T-Shirt, lange braune Haare, so wie Mädchen damals aussahen. Leise sang sie zur Gitarre Blowin’ in the wind, während die endlosen Menschenmassen an ihr vorüberzogen. In dem Land, in dem die Generation meiner Eltern bei Hitler und den Gaskammern mitgemacht hatte. Die Zeiten haben sich verändert.


[i] http://www.live4ever.uk.com/2017/11/bob-dylan-new-at-number-one-on-uk-record-store-chart/

[ii] https://www.needsomefun.net/bob-dylan-swim-quotes/

[iii] www.maximumvolumemusic.com/review-bob-dylan-motorpoint-arena-nottingham-5th-may-2017/

[iv] Julian Dörr: Der Mann, der nie da war. Kommentar der Süddeutschen Zeitung vom 10.12.2016.

[v] https://johnnyborgan.blog/2017/05/09/fare-thee-well-my-own-true-love-bob-dylans-leaving-of-liverpool-8th-of-may-2017/

[vi] Bob Dylan (probably) woke up in a roadside motel room today. Artikel von

     Tom Junod, Jan 23. 2014, Esquire.

https://www.esquire.com/entertainment/music/a26917/who-is-

     this-bob-dylan-interview-0214/

[vii] www.youtube.com/watch?v=EZgmJ0WTByw

[viii] www.youtube.com/watch?v=BYENkQcqn0c

[ix] www.youtube.com/watch?v=EHw_VkCfsTQ

[x] www.youtube.com/watch?v=Ro_6eEGxUfg

[xi] www.youtube.com/watch?v=70KTyU_A3yI

[xii] Damien Willis: The Dylan I miss most. Las Cruces Sun-News vom 30.03.2017.

[xiii] Album of the Year, Best Contemporary Folk Album, Best Male Rock Vocal Performance

[xiv] www.youtube.com/watch?v=w0k7rKsCiLg&list=RDw0k7rKsCiLg‌#t=8

[xv] Chris Francescani: New Yersey Homeonwner Calls Police on Bob Dylan. ABC news. 14.08.2009. http://abcnews.go.com/GMA/‌jersey-homeowner-calls-cops-bob-dylan/story?id=8331830

[xvi] Zum 75. Geburtstag: Wer ist Dylan? Berliner Zeitung vom 24.05.2016.

[xvii] Andy Greene: Bob Dylan Plays Concert for One Insacenly Lucky Superfan. In: Rolling Stone. 24.11.2014. www.rollingstone.com/‌music/‌‌news/‌‌bob-dylan-plays-concert-for-one-insanely-lucky-superfan-20141124

[xviii] Bob Dylan (probably) woke up in a roadside motel room today. Ebd.

[xix] Martin Grossman: But is it Literature? Bob Dylan and the Nobel Prize. 25.10.2016. https://www.rockerteeshirts.com/blogs/rockers-blog/music-industry-news

[xx] Fabian Jonas: Knockin’ on Kevin’s Door. In: Die ZEIT. 01.04.2017. www.zeit.de/kultur/literatur/2017-04/bob-dylan-literaturnobelpreis-‌uebergabe-stockholm-dramolett

[xxi] www.youtube.com/watch?v=6TlcPRlau2Q

[xxii] Lyrics: Bob Dylan, Sugar baby


 Über den Autor

Geboren wurde ich 1951 im Hamburger Stadtteil Horn. Noch immer lebe ich in Hamburg, doch halte ich mich oft und gern in Berlin und Stockholm auf. Meine Zeit verbringe ich als Berater, Coach und Autor oder gehe zum Sport. 2007 wurde ich zu einem ehrenamtlichen Richter am Oberverwaltungsgericht in Hamburg gewählt.

Mit der Kriegsdienstverweigerung konnte ich alles Militäri-sche in meinem Leben vermeiden. An der Universität Hamburg habe ich Soziologie, Psychologie, Germanistik und BWL studiert. Je älter ich werde, desto mehr kann ich mein Wissen nutzen.

Ich war ein einsames Kind, das an Familie, Schule und der Welt gelitten hat. Das schlimme Gymnasium, auf das ich im Text verwiesen habe, hieß Kirchenpauer Gymnasium. Es existierte tat-sächlich und ist keine literarische Erfindung. Wahrscheinlich hat keine Hamburger Schule so viele Kinder psychisch beschädigt wie diese.

Nichts prägte mich und meine Generation so tiefgreifend wie die Traumata aus Krieg und Nationalsozialismus in den Köpfen der Erwachsenen, mit denen wir aufwachsen mussten. Einer der schwersten Augenblicke im Leben ist, wenn sich der Schleier der Kindheit lüftet und wir die Realität erkennen. Ich habe lange dafür gebraucht.

Im Internet gibt es in Kürze unter www.bobdylan-zeitgeschichte.de und www.lookingforbobdylan.de zwei Websites zu diesem Buch. Gerne stehe ich für Lesungen, Vorträge und Diskussionen zu Bob Dylan und meinen Büchern zur Verfügung.

Feedback und Fragen sind erwünscht.

Kontakt: Michael-Brenner@web.de

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Copyright

Meinen Blick auf Bob Dylan habe ich eine zeitgeschichtliche Erzählung genannt, doch ist es eine Veröffentlichung mit wissen-schaftlichem Anspruch, welche die Bereiche der Soziologie, Psy-chologie, Literatur und Kulturwissenschaft umfasst. Insofern sind die zitierten Lyrik- und Textstellen wissenschaftliche Zitate ohne jegliche kommerzielle Verwertung.

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ISBN 978-3-00-058975-1 (Druckfassung)

2. veränderte Auflage Juni 2018

Cover: Mathias Rudek

Lay-out: Melanie Mauer

Druck: Mails & More Oppl GmbH, A 3441 Baumgarten

Erhältlich im Apple App Store als iBook unter

ISBN 978-3-00-059361-1. Ab Juli 2018 auch bei Amazon und Kindel.

© 2018 Michael Brenner Books

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